Bauplan Canard-Roller
Von Ralf Beutnagel
Eine kleine Vorgeschichte
Am 17. Dez.1903 führten die Gebrüder Wright ihren ersten Motorflug mit dem Doppeldecker „Flyer" durch. Jahrzehnte später, im Jahre 1975, erhob sich die von Burt Rutan konstruierte „Vari Eze" erstmalig in die Lüfte. Mit der Weiterentwicklung Long EZ stellte Burt Rutan zahlreiche Rekorde auf. Dieses Flugzeug wurde, allerdings mit einem anderen Rumpf, als Speed Canard ab 1980 auch in Deutschland gebaut. Gemeinsam ist allen Flugzeugtypen das Entenprinzip, nach dem sie entworfen wurden und dem man eine besonders hohe Flugleistung nachsagt.
Das
Entenprinzip
Als „Enten" bezeichnet man Flugzeuge, bei denen das
Höhenleitwerk an der Rumpfspitze, weit vor dem Tragflügel angebracht ist. Mit
dem Namen spielt man dabei auf das Flugbild des gleichnamigen Vogels an, das
eine gewisse Ähnlichkeit zu Entenflugzeugen hat. Natürlich hat jeder Entenvogel
seine Schwanzfedern am Heck, aber was namensgebend war, das ist der lang
ausgestreckte, weit nach vorne ragende Hals im Flug. Aerodynamische Vorteile
haben Entenflugzeuge gegenüber konventionellen in zwei Punkten: zum einen
erzeugt der kleine Canardflügel am Kopf ebenfalls Auftrieb (bei einer
konventioneller Auslegung erzeugt das Höhenleitwerk am Heck ja Abtrieb), die
Gesamtauftriebsfläche wird insgesamt größer und zum anderen kann die Strömung am
Hauptflügel in kritischen Flugsituationen nicht abreißen, eine Ente kann nicht
trudeln oder „abschmieren". Pferdefuß bei Entenflugzeugen ist das Verhalten im
Langsamflug, das bei einem Landeanflug zu kritischen Situationen führen kann und
dadurch eine größere Verbreitung der Entenflugzeuge bisher verhindert hat. Ihre
geringe Anzahl am Fliegerhimmel lässt die Enten immer noch als Exoten
erscheinen. In allen Epochen der Fliegerei hat man sich aber immer an die
aerodynamischen Vorteile der Enten erinnert, wenn es denn um Flugleistung und
wirtschaftliche Aspekte ging.
Manlifting in Berlin und Bruno
Horstenke
1913 ist der Kunstflug in die Fliegerei eingezogen,
der erste Rückenflug durch A. Pégaud und der erste Looping durch P. N. Nestjerow
sorgten für Aufsehen. In Berlin sorgte ein Drachenfliegerteam für Schlagzeilen
in der Presse. Ein Man-Lifter-Team ließ den größten je gebauten Roloplan mit 15
m Spannweite und 90 m² Fläche steigen. Die Zugkräfte waren schwer zu
beherrschen, und so wurde der Roloplan-Dreiflügler auf bescheidene 12 m und 70
m² verkleinert. Damit konnten zwei Personen gleichzeitig geliftet werden. Einer
aus dem Team war Bruno Horstenke, der sich mit eigenen Drachenformen später
einen Namen machte. Bei einigen seiner Entwürfe kann man den Einfluss durch den
Steiff Roloplan deutlich erkennen, was ja in seiner Epoche durchaus üblich war.
Er experimentierte weiterhin mit Drachen als Modellgleitern. Ein Trägerdrachen
mit einer speziellen Haltevorrichtung brachte dazu den Testdrachen auf Höhe, wo
dieser dann ausgeklinkt wurde. Einige Drachen zeigten darauf bemerkenswert gute
Gleitflugeigenschaften, und Horstenke protokollierte die Flugzeit gewissenhaft.
Aus heutiger Sicht fallen mir dazu z.B. Deltas oder Genkis ein, die mit einer
auf einem Drachenfest gekappten Flugschnur oft besser und weiter segeln, als es
ihren Piloten, die hinterher laufen müssen, lieb ist.
Vom „Drachensegler Puck" zum
„Hamburger Flieger"
Ein Drachen war bei diesen Flugversuchen
sehr erfolgreich: der „Drachensegler Puck" aus dem Jahre 1921. Seine äußere Form
war an die Silhouette eines Konventionellen Flugzeuges angelehnt. 1991 nahm sich
Gerd Blattert sich seiner erneut an, und es entstand für das Winterprojekt der
Drachengruppe Hamburg der „Hamburger Flieger", dessen Bauplan mehrmals
veröffentlicht wurde und der ein beliebter Leichtwinddrachen geworden ist. Mit
seiner Begeisterung für die Luftfahrt ist es verständlich, dass Horstenke bei
seinem „Drachensegler Puck" auch einmal auf eine konventionelle Flugzeugform
zurückgegriffen hatte. Verwunderlich wäre es sicher gewesen, wenn er denn nicht
auch ein Modell gebaut hätte, dass ein „Ententyp" gewesen wäre. Aber er hat sie
ja gebaut, die Enten, nur waren sie lange Zeit auf der Drachenwiese nicht zu
sehen und es hat bis 1997 gedauert, als Hans Snoek sie in einem Artikel erneut
kurz vorgestellt und sie so vor dem Vergessen gerettet hat. Bruno Horstenke wird
in dem Artikel mit den Worten zitiert, dass die Entenmodelle als Drachen ebenso
gut fliegen wie normale Drachen, ihre Segeleigenschaften gegenüber früheren
Modellen aber bedeutend verbessert wären. Namen hat Horstenke seinen Enten nicht
gegeben, aber, wenn man sie als Gegenstück zum „Drachensegler Puck" sieht, wie
wäre es mit „Pucky Duck"?
Der Canard-Roller
Mich haben Horstenkes Entenmodelle sofort infiziert. Eine erste Ente
mit 2 m Spannweite hatte ich schnell gebaut. Es war aber nicht meine Absicht,
das Original detailgetreu nachzubauen. Der Entwurf lehnt sich zwar stark an ein
Modell Horstenkes an, aber die plumpe Form seines Canardflügels habe ich
verworfen und durch eine gänzlich andere, gefälligere ersetzt. Weiterhin ist das
Gerüst im Bereich der Abstrebungen geändert, was am Canardflügel z.B. eine
geometrische Schränkung verursacht. Die Zuneigung zu dem neuen Drachen wurde
dann aber zunächst noch auf eine harte Probe gestellt, denn der Entenvogel war
bei seinen ersten Flügen sehr flügellahm und zudem sehr anhänglich. Kleinere
Hochstartversuche quittierte er mit Kamikazeangriffen auf seinem Schöpfer. Nur
gut, dass es um 23:00 Uhr recht dunkel war und mich keiner auf meiner kleinen
Hauswiese beobachten konnte. Aber ohne passende EWD (Einstellwinkeldifferenz;
Maß, in welchem Winkel Tragfläche und Höhenleitwerk zueinander angestellt sind)
fliegt nun auch nicht einmal eine Ente, und alles ist sowieso nur eine frage der
Waage. Ich änderte die Abspannungen, trimmte hier und da, suchte einen besseren
Waagepunkt und auf einmal flog sie dann, die Ente, die ihr Daunenkleid nun ganz
abgelegt hatte. Derart vorbereitet konnte ich mich wohl mit meinem neuen Zögling
auf unserer Flugwiese sehen lassen. Dort musste die Ente nun aber ganz tapfer
sein und sich einiges anhören, quasi als Bestrafung für ihre Flegeleien bei der
Mauser. Schon beim Aufbauen fragte man, ob da nicht einige Segel zwischen dem
Gestänge fehlen, mir sei wohl der Stoff ausgegangen... .Und dann erst der Start,
ich halte den Drachen ja auf dem Kopf, Maulwurfdrachen, so könne der nie
fliegen, Hamburger Flieger falsch montiert, etc.... Und er flog doch, und er
flog gut und alles war gut (Drachenpsalm). Mit Sekt wurde der Drachen
anschließend auf den Namen „Canard-Roller" getauft, der Drachen hatte seine
öffentliche Premiere bestanden, und ich fühlte mich an Konrad Lorenz und seine
Gänse erinnert.
Meine kleine 2m Ente nahm ich zu verschiedenen
Drachenfesten mit und erprobte sie im Drachenfliegeralltag. Es zeigte sich bald,
dass sie mit einer Einpunktwaage (!) am besten fliegt und einen leichten,
gleichmäßigen Wind liebt. Alsbald erinnerte ich mich an die Sätze, dass man
einen „Hamburger Flieger" nicht zu klein bauen sollte. Nun, diesen baut man aus
6 mm Kohlefaserstäben a 165 cm Länge mit 330 cm Spannweite. Dem Rat folgend,
baute ich einen Canard-Roller in eben dieser Größe. Da aber seine Flächentiefe
fast doppelt so groß ist wie beim „Hamburger Flieger", spendierte ich der neuen
Ente dann doch ein 8 mm Gestänge. Mit diesem Gestänge ist der Drachen immer noch
relativ weich und daher als Leichtwindflieger einzusetzen. Damit sich Flügel und
Leitwerk nicht zu sehr gegeneinander verdrehen, kamen noch zwei weitere
Abspannungen hinzu. Der weiterhin einzige Schenkel der Einpunktwaage, die an
einem Flachdrachen ohne jeglichen Schwanz auch nicht gerade alltäglich ist (!),
lässt sich nun mit einem neuen, speziellen Knoten ganz einfach auf dem Längsholm
verschieben. Unter Last ist der Knoten unverrückbar, ohne Zug jedoch
verschiebbar. Ähnlichkeiten zum Prusikknoten oder zum Schiebeknoten sind nicht
zu übersehen. Über diese Waageeinstellung lässt sich der Canard-Roller an
unterschiedliche Windstärken anpassen. Der Bau an sich ist unkompliziert und in
meiner üblichen Art gehalten. Die Maße für das Segel sind dem Plan zu entnehmen.
Stoffzugaben für Saum und Stabtaschen müssen extra hinzugegeben werden, man kann
sich an die Vorgeschlagenen Maße halten oder auch seine eigenen Hauswerte
einsetzen. Alle Ecken habe ich mit Kreissegmenten mit r = 4 cm aus zwei Lagen
SpiNy verstärkt, im Bereich der Eddykreuze mit solchen mit r = 8 cm und
anschließend das Segel mit einer Zugabe von 1 cm geschlossen gesäumt. Das ergibt
eine Saumbreite von 5 mm. Die Längs- und Querstangen verlaufen über die gesamte
Länge in Taschen, bei den Segellatten habe ich aber darauf verzichtet. Am
Segelende werden Schnurlaschen mit angenäht, mit denen es auf die überstehenden
Querstangen gespannt wird. Um das richtige Maß für die Schnurlaschen zu finden,
baut man den entsprechenden Flügel auf und bringt ihn mit helfenden Händen auf
die gewollte Spannung. Die Schnurlaschen werden angehalten und ihre korrekte
Position markiert, so dass sie anschließend festgenäht werden können. Die
Spannschnüre werden z.T. am Segel direkt angenäht oder in eine
Splittkappeeingehängt/zur nächsten Splittkappe geführt. Alle Schnüre zwischen
Hauptsegel und Canardflügel habe ich mit Karabinern trennbar gestaltet, was
einen Seilsalat beim Aufbauen vermindert. Mit je einer Bucht um die Eddy-Kreuze
werden die Verbindungsschnüre am Längsstab befestigt. Alle Spann- und
Verbindungsschnüre werden einmal richtig eingestellt und dann fixiert. Man muss
dabei unbedingt darauf achten, dass man symmetrisch spannt und keine Wellen
seitlich in den Längsstab trimmt. Die Querstangen sollen auch keine Pfeilung
erhalten, nur der Längsstab ist am Ende der Aktion leicht gebogen, um den
Canardflügel stärker anzustellen. Außerdem ist das Wort „Spannen" bei dem
weichen Gerüst auch etwas übertrieben, „in Form bringen" passt da
besser.
Die Hardware
Das Gerüst baut auf ungekürzten Stäben a 165 cm bzw.
82, cm Kohlefaserrohr auf. Als Splittkappen habe ich solche mit Seitenschlitz
der Marke FSD eingesetzt. Der untere Stab am Längsholm trägt die Muffe mit
Mittelanschlag und direkt dahinter das Exel-Eddykreuz, die beide gegen Verlust
auf dem Stab miteinander verklebt werden. Die Segellatten sind aus 150 cm langen
6 mm Kohlefaserrohren und müssen abgelängt werden. Mit den abgetrennten
Überständen füttert man alle 8er Stangen im Bereich der Eddykreuze bzw. der
Muffe auf. Wer das sehr großzügig macht, braucht noch andere
Stabreste.
Waageeinstellung
Mit den angegebenen Werten für die Trimmschnüre
sollte der Canard-Roller sofort flugbereit sein. Der Waagepunkt liegt
normalerweise je nach Wind ein bis zwei Handbreiten hinter dem Canardflügel. Bei
stärkerem Wind verschiebt man ihn ganz nach vorne direkt zur Flügelhinterkannte,
bei ganz leichten Wind halt noch mehr nach hinten. Bei meinem kleinen 2 m
Canrad-Roller lag der optimale Waagepunkt etwas weiter hinten, viel näher am
Hauptflügel. Ich hatte diesen aber auch in anderer, nicht vergleichbarer Form
abgespannt. Beiden Varianten des Canard-Rollers ist ihre wunderbare
Segelflugeigenschaft gemeinsam, mit der sich so manches Windloch überbrücken
lässt. Viel Zug auf der Leine sollte man aber nicht erwarten.
Indoor-Kiting
Der Canard-Roller ist auch
ideal für das Indoor-Fliegen in der Halle. Mit einer Angelrute und etwas Leine
lässt er sich leicht in der Luft halten. Die geringen Zugkräfte trotz der 3,30 m
Spannweite lassen die Rute nicht bersten. Überragend für das Indoor-Kitting ist
die Einpunktwaage, die dem Canard-Roller eine unglaubliche Wendigkeit
ermöglicht. Mit der Angelrutentechnik ist eine Drehung auf der Stelle um die
Hochachse möglich, der Einleiner-Axel! Trickflug mit Einleinern, wer hätte das
jemals für möglich gehalten!
Viel Spaß beim Nachbau.
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